Diskursverschiebungen sichtbar machen: Diesem Ziel gilt eine umfangreiche wissenschaftliche Sammlung und Auswertung potentiell verfassungsfeindlicher Äußerungen aus der Thüringer AfD, die das Institut für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre unter Leitung von Prof. Dr. Markus Ogorek, LL.M.(Berkeley), Att. At Law (NY) vor wenigen Wochen vorgelegt hat. Die unter extremismusmonitor-thueringen.de abrufbare Studie ermöglicht allen Bürgerinnen und Bürgern eine eigene Auseinandersetzung mit den Thesen des AfD-Landesverbandes um Björn Höcke auf Grundlage juristischer Einordnungen.
Institutsdirektor Professor Ogorek beschreibt den Hintergrund der Studie: Über keine Partei gingen die Meinungen so weit auseinander wie über die AfD, speziell hinsichtlich ihres als besonders stark geltenden Thüringer Flügels. Bei der Analyse von Aussagen der dortigen Anhängerinnen und Anhänger seien immer wieder zwei Narrative aufgefallen – Einschätzungen des Verfassungsschutzes könne man ohnehin nicht trauen, habe es dort geheißen, und dass einzelne Meinungsbekundungen aus der AfD durch politisch-mediale Eliten aufgebauscht würden. Angesichts dieser Meinungen, so Professor Ogorek, habe sich sein Institut vor einem halben Jahr zu der systematischen Sichtung und Auswertung abseits von einzelnen, medial intensiv diskutierten Vorfällen entschlossen.
Berücksichtigt worden seien nur solche Äußerungen, die für jedermann – etwa auf Facebook, YouTube und Telegram – frei abrufbar waren. Zudem habe der Fokus auf vergleichsweise aktuellen Inhalten gelegen, insbesondere aus den Jahren 2021 bis 2024. „Aus weit mehr als 1.000 Sichtungen haben wir rund 150 Postings, Podcasts und Videos gewonnen, die sich mit Blick auf elementare Werte unseres Grundgesetzes als problematisch erweisen“, sagt Professor Ogorek: „Etwa, weil sie pauschalierend-fremdenfeindlich sind oder die verfassungsmäßige Ordnung aktiv infrage stellen.“
So habe sich Höcke dahingehend geäußert, dass die Justiz in Deutschland politisch gesteuert sei, das Demokratiefördergesetz als „DDR 2.0“ bezeichnet und Thüringens Innenminister als „totalitär“ sowie die Bundeskanzlerin a.D. als „Deutschlandverächterin“ beschimpft. Den „Kartellparteien“ werfe Höcke ein „Vernichtungswerk“ vor. Damit sei der Parteivorsitzende nicht allein. So habe der AfD-Kreisverband Kyffhäuser-Sömmerda-Weimar ausgeführt, durch die Corona-Impfungen würden „alle Programme zur Zerstörung Deutschlands parallel“ laufen, darunter der auf einen US-Autor zurückgehende „Kaufman-Plan“ vom Jahr 1941, wonach die deutschen Männer zu sterilisieren seien.
Neben dieser Bekämpfung von (Rechts-)Staat und Parteienwettbewerb als größter Gruppe gefundener Belege beleuchte der ExtremismusMonitor Thüringen auch die Vorstellungen des Landesverbands zur Zusammensetzung des deutschen Volkes. Höcke habe beispielsweise in einem Interview geäußert, dass die deutsche Souveränität ende, wenn die Mehrheit der Bevölkerung keine echten „Deutschen“ mehr seien und damit den bundesverfassungsgerichtlich als mit der Menschenwürde unvereinbar angesehenen sog. ethnisch-kulturellen Volksbegriff postuliert. Zudem seien zahlreiche Äußerungen dokumentiert, die als fremden- und minderheitsfeindlich verstanden werden können. So habe Höcke in einer Rede das Bild eines „Hauses Deutschland“ gezeichnet, das die Bundesregierung als „wild gewordener Hausmeister“ mit Hilfe von „Taugenichtsen“ und „Mietnomaden“ zugrunde richte, wobei sich Letzteres offensichtlich pauschal auf Einwanderer beziehe. Zudem nehme Höcke Gewalttaten immer wieder zum Anlass, maximal pauschalierend von einer „Messerkultur“ oder einer „Unkultur der Gruppenvergewaltigung“ zu sprechen, die erst mit der Migration von Menschen aus „kulturfremden Räumen“ hierher gelangt seien.
Im Bereich der Muslimfeindlichkeit spreche etwa das Parteiprogramm vom orthodoxen Islam undifferenziert als „politischer Religion“ oder Höcke über die Errichtung eines Minaretts in Erfurt als einem „Zeichen der Landnahme“. Auch antisemitische und muslimfeindliche Tendenzen würden in der Studie dokumentiert, wenngleich hier nach Auffassung von Institutsdirektor Professor Ogorek „eine gewisse, aus meiner Sicht taktisch motivierte Zurückhaltung im Vergleich zu früheren öffentlichen Stellungnahmen zu beobachten ist.“ Dennoch gebe es gravierende Funde, etwa die immer wieder in verschiedenen Varianten („Alles für Weimar“, „Alles für Alice“) verwendete SA-Parole „Alles für Deutschland“.
Zusammenfassend meint Ogorek, der ExtremismusMonitor Thüringen unterstreiche, wie gefährlich rechtsextremistische Tendenzen für das demokratische Miteinander sein könnten. Wichtig zu betonen sei ihm gleichwohl: „Auch wenn unsere Studie die Verfassungsfeindlichkeit des Landesverbands nahelegt, kann über die Bewertung jedes einzelnen der dort präsentierten Belege letztverbindlich nur die Justiz entscheiden.“
Zur Studie gelangen Sie unter https://extremismusmonitor-thueringen.de.
Bericht: Luca Manns