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2. Kartellrechts-Workshop

Webinar zum Thema „Standardessentielle Patente in der Lieferkette“

Am Donnerstag, 15. Juli 2021, 16 – 18 Uhr, veranstaltete der Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Kartell- und Regulierungsrecht, Recht der digitalen Wirtschaft unter der Leitung von Prof. Dr. Torsten Körber, LL.M. (Berkeley), einen Online-Workshop zum Thema „Standardessentielle Patente in der Lieferkette“.

Die „Patentkriege“ haben vor zehn Jahren vor allem die Mobilfunkindustrie beschäftigt. Vorläufiger Höhepunkt war 2015 die EuGH-Entscheidung Huawei/ZTE.[1] Fünf Jahre später hat die Problematik nicht nur die Automobilindustrie, sondern die gesamte Industrie 4.0 erreicht. Autos sind heute zunehmend digital vernetzt. Jedes neue Fahrzeugmodell muss mit einer eCall-Funktionalität ausgestattet sein. Hierfür müssen gewisse Standards wie beispielsweise der LTE-Standard eingehalten werden, wofür standardessenzielle Patente (SEP) verwendet werden müssen. Fehlen die notwendigen Lizenzen, kann der Vertrieb eines ganzen Automodells gerichtlich untersagt werden.[2] Das wirft eine Reihe von Fragen auf: Wer in der Lieferkette vom Chiphersteller, über den Hersteller der TCU, bis zum Autohersteller (OEM) kann eine Lizenz fordern, und wer muss sie nehmen? Kann sich ein Autohersteller auf die Lizenzierung seiner Lieferanten berufen? Oder umgekehrt die Lieferanten auf eine Lizenz des OEM? Auf welcher Basis soll die Lizenzgebühr berechnet werden? Sind z. B. ein Prozent des Preises des Mobilfunkchips, der TCU oder gar des Autopreises angemessen? Wie lassen sich diese Problematiken praxisnah und für beide Seiten fair lösen? Diese Fragen diskutierten drei führende Experten: Herr Axel Verhauwen, Krieger Mes & Graf v. der Groeben, und Herr Dr. Wolfgang Kellenter, HengelerMueller sowie Herr Wiesner, Leiter Corporate IP, Volkswagen AG.

Nachdem zunächst der Lehrstuhlinhaber Prof. Dr. Torsten Körber, LL.M. (Berkeley), in das Thema einführte und insbesondere darauf hinwies, dass Standards im Bereich des Mobilfunks erforderlich seien, um die Interoperabilität der Geräte zu gewährleisten, erläuterte Herr Verhauwen, dass es für Standards eine Vielzahl von SEPs und SEP-Inhabern gibt, die den Nutzern häufig unbekannt seien. Es handele sich deshalb um eine doppelt-privilegierte Marktmacht der SEP-Inhaber, die auf einen Nutzungszwang der Nutzer trifft. Aus einer Patentverletzung resultiere ein verschuldensunabhängiger Unterlassungsanspruch aus § 139 PatG. Herr Dr. Kellenter erläuterte die Besonderheiten, die mit einer SEP-Inhaberschaft einhergehen. Der Nutzer habe sowohl einen kartellrechtlichen Anspruch auf die Erteilung einer Lizenz als auch einen vertraglichen Lizenzierungsanspruch aus der FRAND-Erklärung. Diese Ansprüche könnten dem patentrechtlichen Unterlassungsanspruch entgegengesetzt werden. Herr Dr. Kellenter verdeutlichte, dass es sich anders als in den Smartphone-Fällen aufgrund der gestaffelten Zuliefererkette bei Automobilen nicht mehr nur um ein Zwei-Parteien-Verhältnis handelt, wodurch die Konstellation an Komplexität gewinne. Herr Dr. Kellenter erläuterte ferner, die Schwierigkeiten bei der Feststellung des konkreten Lizenzobjektes und der hierauf basierenden Lizenzgebühren. Im Anschluss stellten die Referenten die verschiedenen Interessen der SEP-Inhaber und der OEMs dar, sowie die Interessen der Zulieferer. Im Anschluss daran gingen die beiden Anwälte auf die bisherige Rechtsprechungs- und Literaturmeinungen ein. Es wurden die beiden gegensätzlichen Konzepte des License-to-All- und Access-to-All dargestellt. Nach dem License-to-All-Konzept müsse der SEP-Inhaber jedem Lizenzwilligen eine Lizenz erteilen. Danach sei bereits der Chip-Hersteller berechtigt, eine Lizenz in Anspruch zu nehmen. Dieses Konzept schaffe ein Ausgleich für die Privilegierung und Aufnahme des Patents in den Industriestandard und die damit verbundene Einschränkung des Nutzers, der auf die Nutzung des Patents angewiesen sei. Demgegenüber sehe das Access-to-All-Konzept ein Wahlrecht des SEP-Inhabers vor, welcher Wertschöpfungsstufe er die Lizenz erteilt. Werde auf der letzten Stufe lizenziert, so trete zwar keine Erschöpfung ein; die Zulieferer seien aber durch Have-Made-Rechte vor dem Unterlassungsanspruch des SEP-Inhabers geschützt.

Herr Wiesner erläuterte die Problematik standardessentieller Patente in der Lieferkette aus der Sicht eines Automobilherstellers. Die zunehmende Elektrifizierung von Autos gehe damit einher, dass immer mehr Patente aus dem Elektronikbereich benötigt werden. Hier sehe sich ein OEM einem Transparenzproblem gegenübergestellt. Der OEM könne – anders als seine jeweiligen Zulieferer – nicht im Blick haben, welche Patente für die eingebauten Technologien erforderlich seien. Auch volkswirtschaftlich sei es sinnvoller, sich in dieser Frage auf das Know-How der Zulieferer zu verlassen und keine doppelte Überprüfung vorzunehmen. Herr Wiesner hob auch die eigene Leistung der OEMs hervor. Seit der Einführung der obligatorischen E-Call-Funktion sei Konnektivität zwingend und in jedem Auto eingebaut. Die Kunden zahlten daher nicht für die Konnektivität als solche, sondern vielmehr dafür, wie die Konnektivität umgesetzt wurde. Die Umsetzung der Konnektivität werde von den Automobilherstellern und ihren Tier-1-Zulieferern entwickelt. Herr Wiesner führte auch aus, dass die Höhe einer FRAND-Lizenzgebühr nicht von der Position des Lizenznehmers innerhalb der Lieferkette abhängen solle und plädiert für eine einheitliche Lizenzgebühr. Herr Wiesner machte deutlich, dass es für OEMs aufgrund von drohenden Unterlassungsansprüchen ein hohes Risiko darstelle, wenn sie die Produkte ihrer Zulieferer nicht frei von Rechten Dritter erwerben würden. Herr Wiesner unterstrich auch die besondere Komplexität von IoT-Produkten. Eine Hold-Out-Strategie sei hier nicht denkbar, sondern frühe und weite Rechtssicherheit notwendig. Gleichzeitig sei es praktisch unmöglich, mit allen Patentinhabern Einzelverhandlungen zu führen. Um dieser problematischen Situation zu begegnen, sprach sich Herr Wiesner für eine Pool-Lösung aus. Danach würden Patentpools auf Seiten der SEP-Inhaber Lizenzverhandlungsgruppen (Licensing Negotiation Groups, LNGs) auf der Seite der SEP-Nutzer begegnen. Herr Wiesner unterstrich die besondere Bedeutung von Patentpools auch vor dem Hintergrund, dass die Probleme rund um die Konnektivität auch schon in andere Branchen übertrete und inzwischen auch den Mittelstand betreffe.

Herr Prof. Körber kommentierte die unterschiedlichen Ansätze der Akteure als „Clash of Cultures“: Während in der Mobilfunkindustrie eine Ausrichtung der Patent-Lizenzgebühren am Endgerätepreis üblich sei, gehe die Automobilindustrie traditionellerweise davon aus, dass Lizenzfragen bereits auf der Ebene der Lieferanten geklärt würden. Eine beiderseitige Poollösung klinge interessant und erinnere im ersten Zugriff an kollektive Verhandlungen im Arbeitsrecht, werfe aber auch spannende kartellrechtliche Fragen auf.

Die darauffolgende Diskussion erlaubte den Teilnehmerinnen und Teilnehmern Fragen zu stellen und mitzudiskutieren. Im Fokus stand auch hier das Spannungsfeld zwischen patentrechtlichem Unterlassungsanspruch und kartellrechtlichem Lizensierungsanspruch, insbesondere die Frage, welches der Konzepte (Licence-to-All vs. Access-to-All) zu favorisieren sei. Intensiv diskutiert wurde ferner, wie eine faire Lizenzgebühr bestimmte werden könne. Eine gemittelte Lizenzgebühr in Verbindung mit einem License to all Ansatz, wie sie etwa T. Kühnen vorschlage, wurde als in der Praxis schwer umzusetzen bewertet, weil ein Mobilfunkchip in sehr unterschiedliche Geräte vom Billighandy bis zur Industrie 4.0-Fabrikanlage verbaut werden könne. Denkbar sei aber z.B. ein Markieren der Zulieferteile mit Seriennummern, so dass Teile mit bestimmten Seriennummern nur an bestimmte Abnehmer geliefert und differenzierte Preise ermöglicht würden. Gleichwohl bleibe es schwierig, einzelne Lizenzen in der Lieferkette zu verorten und so einen angemessenen Preis zu verhandeln. Als Alternative wurde neben einer Poollösung eine Orientierung am Verkaufspreis der TCU, die letztlich bereits die ganze Mobilfunktionalität verkörpere und auch preislich einem modernen Mobiltelefon nahekomme.

 


[1] EuGH, Urt. v. 16.7.2015, C-170/13 – Huawei/ZTE.

[2] Dazu auch T. Kühnen, GRUR 2019, 665; Körber, NZKart 2020, 493.