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7. Kölner Medizinrechtstag

"Wichtige Impulse für Entwicklung unseres Gesundheitssystems"

Am 21.10.2022 fand der 7. Kölner Medizinrechtstag statt. Das Institut für Medizinrecht der Universität zu Köln richtete die Tagung in der Fritz Thyssen Stiftung aus. Im vollbesetzten Amélie Thyssen Auditorium diskutierten Vertreter der Patientenschaft, der Ärzteschaft, der Versicherungswirtschaft, der Politik, der Justiz und der Rechtswissenschaft über die Zukunft der Patientenrechte. Die Frage lautete: Ist ein „Patientenrechtegesetz 2.0“ notwendig?

Prof. Dr. iur. Johanna Hey (Prorektorin für Internationales der Universität zu Köln) betonte zu Beginn der Tagung in einem einleitenden Grußwort die stetig steigende Relevanz medizinrechtlicher Themen. Mit einführenden Gedanken zur Problematik eröffnete daraufhin Prof. Dr. iur. Christian Katzenmeier (Direktor des Instituts für Medizinrecht der Universität zu Köln) die Veranstaltung.

In einem ersten Themenblock referierten der Präsident der Bundesärztekammer Dr. med. Klaus Reinhardt und Rainer Sbrzesny, Vertreter des wegen namentlicher Abstimmung im Bundestag verhinderten Stefan Schwartze, Patientenbeauftragter der Bundesregierung.
Dr. med. Reinhardt hält wenig von einer des Öfteren geforderten generellen Beweislastumkehr und bemängelt zudem, dass bei der Frage nach Patientenrechten zu sehr auf die Frage der Arzthaftung fokussiert werde. Es müsse früher angesetzt und danach gefragt werden, wie es zu erreichen ist, Behandlungsfehler bereits im Keim zu ersticken. Schlechte Rahmenbedingungen, etwa Personalmangel und Sprachbarrieren, würden solche Fehler fördern oder schlimmstenfalls sogar dazu führen, dass Patienten trotz medizinischer Gebotenheit oftmals gar nicht behandelt werden. Der Vertreter der Patientenschaft Rainer Sbrzesny nimmt trotz zahlreicher wichtiger rechtlicher Vorgaben ein Vollzugsdefizit, beispielsweise bei der Einsicht in die Patientenakte, wahr und hält eine Beweismaßreduktion zwischen Fehler und Schaden für nötig. Darüber hinaus wolle man sich in der laufenden Legislaturperiode unter anderem für die Einführung eines Härtefallfonds und die verpflichtende Implementation und Nutzung von Fehlermeldesystemen einsetzen.

Im zweiten Tagungsabschnitt stellten der von Timmy Klebb (Vorsitzender des Vorstandes der Deutschen Ärzteversicherung) unterstützte Jörg Kieker (Mitglied des Vorstandes der Deutschen Ärzteversicherung) und Prof. Dr. iur. Hans Georg Bollweg (Ministerialrat a. D. beim Bundesministerium der Justiz in der Abteilung Schadensersatzrecht) ihre Positionen zu den Reformvorschlägen der Patientenrechte dar.
Der Vertreter des Versicherungswesen Jörg Kieker zog betreffend die Frage, ob eine Beweislastumkehr nicht nur bei groben, sondern auch bei einfachen Behandlungsfehlern vorzunehmen ist, wenn der Fehler grundsätzlich dazu geeignet ist, zum Schaden zu führen, den folgenden Schluss: Weil ein medizinischer Sachverständiger nur die generelle Geeignetheit bescheinigen müsse, wäre ein Arzt im Prozess aufgrund der kaum möglichen Entlastung in den meisten Fällen zu verurteilen. Dies hätte letztendlich zur Folge, dass sowohl die Kosten für ärztliche Leistungen als auch die Krankenversicherungsbeiträge ansteigen würden. Schließlich widmete er sich dem Vorschlag der Einführung eines Härtefallfonds und vertrat den Standpunkt, dass sich eine deutsche an der österreichischen Zusatzlösung für Spitalpatienten orientieren könnte, die als Voraussetzungen aufstellt, dass keine Arzthaftung nachgewiesen ist und ein besonderer Härtefall vorliegt.
Prof. Dr. iur. Hans Georg Bollweg pointierte zwei koalitionsvertragliche Vorhaben: die Stärkung der Stellung der Patienten sowie die Einführung eines Härtefallfonds. Anvisiert sei anders als im vorherigen Koalitionsvertrag nicht die Stärkung der Rechte der Patienten, vielmehr ihrer Stellung. Diese Stärkung soll nach dem Wortlaut vollzogen werden „im bestehenden Haftungssystem“. Daraus folge, dass das bisherige Haftungssystem weder geändert noch erweitern werden soll. Hinsichtlich der Einführung eines Härtefallfonds seien noch zahlreiche Aspekte ungewiss. Ein solcher Fonds könne jedenfalls kein Haftungsfonds sein, weil das Haftungssystem gerade nicht berührt werden soll. Abschließend fasste der Referent zusammen, dass eine Politik, die ausdrücklich gegen den geschriebenen Koalitionsvertrag ausgeführt wird, zwar nicht ausgeschlossen, doch aber ausgesprochen ungewöhnlich und selten wäre, weswegen es zumindest in der laufenden Legislatur keine Ausweitung der Haftung von Ärzten geben werde.

Vor den Referaten am Nachmittag erfolgte die Verleihung des Adolf-Laufs-Medizinrechtspreises an Dr. iur. Christoph Jansen für seine Dissertation mit dem Titel „Der Medizinische Standard – Begriff und Bestimmung ärztlicher Behandlungsstandards an der Schnittstelle von Medizin, Haftungsrecht und Sozialrecht“.

Im Anschluss daran folgten die Vorträge der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. iur. Dieter Hart (ehemaliger Direktor des Instituts für Gesundheits- und Medizinrecht an der Universität Bremen), Prof. Dr. iur. Stephan Rixen (Direktor des Instituts für Staatsrecht der Universität zu Köln) und Prof. Dr. iur. Christian Katzenmeier.
Während Prof. Dr. iur. Bollweg vorsichtig eher eine retrospektive Betrachtung vornahm, stellte Prof. Dr. iur. Hart couragiert sein für die Zukunft entwickeltes konkretes Modell eines haftungsergänzenden Patientenentschädigungs- und Härtefallfonds (PatEHF) vor. Dabei machte der Gesundheits- und Medizinrechtler drei Gerechtigkeitslücken aus, die Anlass zur Einführung eines solchen Fonds böten: das strenge Beweismaß des § 286 ZPO, die Privilegierung von Diagnoseirrtümern im Vergleich zu den übrigen einfachen Behandlungsfehlern und eine unzureichende Rechtsprechung zur Organisationshaftung.
Prof. Dr. iur. Stephan Rixen strebt eine effektive Stärkung der Rechte von Patientinnen und Patienten im Rahmen des gesundheitsbezogenen Sozialrechts an, vor allem anhand einer patientenfreundlichen Reform des § 13 IIIa SGB V oder durch Einführung beziehungsweise Stärkung von Wunsch- und Wahlrechten, insbesondere durch die Rücknahme von (stillschweigenden) Wirtschaftlichkeits- und Angemessenheitsvorbehalten. Er hegt die Hoffnung, dass das nächste Patientenrechtegesetz auch das Sozialrecht im Sinne der Patientinnen und Patienten fortentwickeln wird.
Im letzten Vortrag bezog Prof. Dr. iur. Christian Katzenmeier Stellung zu den vielfach diskutierten Reformvorschlägen einer Beweismaßreduzierung und der Einführung eines Patientenentschädigungsfonds. Der mehrfach geforderten Beweismaßreduzierung steht der Referent skeptisch gegenüber. Sie führe dazu, dass nicht verursachte Schäden ersetzt, vielmehr die bloße Gefahrerhöhung nach Haftungsrecht sanktioniert werde. Eher war der Vortragende dem Vorschlag der Etablierung eines Patientenentschädigungsfonds zugeneigt. Ein solcher soll bei ungeklärter, nicht sicherer Nachweisung von Patientenschäden nutzbar sein und könnte die außergewöhnlichen Härtefälle einer Lösung zuführen, für die sich eine Arzthaftung gerade nicht überzeugend begründen lässt, welche die Judikatur aber immer mehr zu Verschärfungen der arztberuflichen Anforderungen verführen.

Die abschließende ausführliche Podiumsdiskussion unter Beteiligung aller Fachvertreter wurde moderiert von Richterin am Bundesgerichtshof Vera von Pentz (Stellvertretende Vorsitzende des u.a. für das Arzthaftungsrecht zuständigen VI. Zivilsenats) und Prof. Dr. iur. Martin Stellpflug (D+B Rechtsanwälte, Berlin).

Die Referate erscheinen im Frühjahr 2023 in einem Schwerpunktheft der Zeitschrift „Medizinrecht (MedR)“. Zu erwarten ist, dass auch von dem 7. Kölner Medizinrechtstag wichtige Impulse für die Entwicklung unseres Gesundheitssystems ausgehen.

Bericht von Pascal Czaja, Institut für Medizinrecht