Mit Wirkung zum 23. Februar 2018 wurden die Vorgaben aus Art. 25 der RL 2016/97/EU (sog. Insurance Distribution Directive „IDD“, übersetzt Versicherungsvertriebsrichtlinie, welche die 2002 verabschiedete Versicherungsvermittlerrichtlinie ersetzt) in § 23 Abs. 1a – 1d VAG umgesetzt. Welche Folgen damit für Versicherungsunternehmen und -vermittler einhergehen, wurde beim Kölner versicherungsrechtlichen Jour Fixe dargestellt.
Der versicherungsrechtliche Jour Fixe ist seit Jahren eine feste Institution, die das Institut für Versicherungsrecht in Kooperation mit dem Verein der Förderer des Instituts für Versicherungswissenschaft und der Rechtsanwaltskanzlei Bach, Langheid & Dallmayr an der Universität zu Köln ausrichtet. Zweimal im Jahr wird dort zu aktuellen versicherungsrechtlichen Fragestellungen referiert und diskutiert. Am 14. November 2018 sprach Professor Dr. Manfred Wandt, Hochschulprofessor an der Goethe-Universität Frankfurt a.M., über das versicherungsrechtliche Produktfreigabeverfahren nach § 23 VAG.
Produktfreigabeverfahren im Aufsichtsrecht
Nachdem Wandt zu Beginn die Ziele der IDD darstellte, worunter der Verbraucher- und Kundenschutz, die Sicherung einer hohen Dienstleistungsqualität und die Schaffung derselben Wettbewerbsbedingungen für die Vertreiber fällt, zeigte er die Rechtsquellen des Produktfreigabeverfahrens auf, Art. 25 IDD, die Delegierte VO 2017/2358 (DVO POG), die der Ergänzung der Versicherungsvertriebsrichtlinie dient und § 23 Abs. 1a – 1d VAG. Sowohl Versicherungsunternehmen als auch Versicherungsvermittler, die Versicherungsprodukte zum Verkauf an Kunden konzipieren, gehören zum Adressatenkreis dieser Vorschriften. Ob der Versicherungsvermittler als Hersteller zu qualifizieren ist, hat anhand einer Würdigung im Einzelfall zu erfolgen. Die dafür maßgebenden Kriterien können aus Art. 3 Abs. 2 DVO POG entnommen werden. Wandt schlug zudem die Möglichkeit einer schriftlichen Vereinbarung zwischen Hersteller und Vermittler vor, in der die Parteien die Herstellereigenschaft des Vermittlers ausschließen können, räumte aber zugleich die Anfälligkeit einer solchen Vereinbarung ein, wenn sie von den tatsächlichen Umständen abweicht, denn auch hier gelte der Grundsatz „falsa demonstratio non nocet“. Wandt kritisierte zudem Art. 5 Abs. 1 DVO POG, welcher von den Herstellern erfordert, dass sie den Zielmarkt für das Versicherungsprodukt in „ausreichender Detailtiefe“ ermitteln, wobei die Unbestimmtheit dieses Rechtsbegriffs für Rechtsunsicherheit sorgt. In seiner abschließenden Würdigung stellte Wandt fest, dass der durch § 23 Abs. 1a – 1d VAG geschaffene interne Überwachungsmechanismus hinsichtlich neuer Versicherungsprodukte eine mittelbare Produktregulierung durch die Aufsichtsbehörde darstellen könne, indem diesen ermöglicht wird in den Herstellungsprozess einzugreifen, obwohl die Herstellung eines Versicherungsprodukts in die Kernkompetenz der Herstellers fällt und durch die unternehmerische Betätigungsfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 GG geschützt ist.
Das aufsichtsrechtliche Produktfreigabeverfahren und Vertragsrecht
Im zweiten Teil ging Wandt der Frage nach, welche vertraglichen Auswirkungen aus der DVO POG und § 23 VAG resultieren können. Zunächst könnten die aufsichtsrechtlichen Vorschriften Verbotsgesetze i.S.v. § 134 BGB darstellen. Der Vertrieb von Versicherungsprodukten außerhalb des Zielmarktes ist aufsichtsrechtlich nur zulässig, sofern dies nicht systematisch und der Vertrieb anhand einer Einzelbewertung des jeweiligen Kunden erfolge. Allerdings würde selbst bei aufsichtsrechtlicher Unzulässigkeit keine Nichtigkeit des Vertrags eintreten, da § 23 VAG lediglich ein einseitiges Verbot normiere. Ferner sei zu beachten, dass weder die Richtlinie noch die DVO POG grundsätzlich Informationspflichten gegenüber dem Kunden statuieren und dies vom deutschen Gesetzgeber ebenso übernommen wurde. Eine Ausnahme stellt Art. 7 Abs. 3 Satz 2 DVO POG dar, welcher die Hersteller dazu verpflichtet die Kunden beim Eintritt nachteiliger Auswirkungen eines Versicherungsprodukts unverzüglich über die ergriffenen Abwehrmaßnahmen zu unterrichten. Damit statuiert die DVO POG, welche unmittelbar anwendbar ist, eine Informationspflicht gegenüber dem Kunden, die bei Verletzung Schadensersatzansprüche gem. § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB auslösen könne. Diese Regelung stelle einen „Fremdkörper“ dar, da Art. 25 der RL 2016/97/EU die reine Geschäftsorganisation betreffe. Insoweit ist zweifelhaft, ob für eine solche Regelung eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage besteht.
Der nächste versicherungsrechtliche Jour Fixe findet am 15. Mai 2019 im Institut für Versicherungsrecht an der Universität zu Köln statt. Dann wird Professor Dr. Thomas Rüfner, Hochschulprofessor an der Universität Trier und im zweiten Hauptamt Richter am Oberlandesgericht Koblenz, zum Thema „Aus der Rechtsprechung des OLG Koblenz zum Versicherungsrecht“ referieren. Weitere Informationen unter: http://www.versicherungsrecht.jura.uni-koeln.de.
Baris Güzel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Versicherungsrecht, Universität zu Köln.