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Versicherungsrechtlicher Jour Fixe

"Die Rechtsprechung des OLG Koblenz zum Versicherungsrecht".

Fortsetzung der Reihe der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte – Einblicke in die Rechtsprechung des 10. Zivilsenats des OLG Koblenz zum Versicherungsrecht beim Kölner versicherungsrechtlichen Jour Fixe.

Der versicherungsrechtliche Jour Fixe ist seit Jahren eine feste Institution, die das Institut für Versicherungsrecht in Kooperation mit dem Verein der Förderer des Instituts für Versicherungswissenschaften an der Universität zu Köln und den Rechtsanwälten Bach, Langheid & Dallmayr ausrichtet. Zweimal im Jahr wird dort zu aktuellen versicherungsrechtlichen Fragestellungen referiert und diskutiert. Am 15. Mai 2019 sprach Prof. Dr. Thomas Rüfner, Richter am OLG Koblenz und Professor für Bürgerliches Recht, Römisches Recht, Neuere Privatrechtsgeschichte sowie Deutsches und Internationales Zivilverfahrensrecht an der Universität Trier, über die aktuelle Rechtsprechung des 10. Zivilsenats des OLG Koblenz zum Versicherungsrecht.

Falschangaben des Versicherungsnehmers bei PKV und BUZ
Rüfner ging zunächst auf Beispielfälle zu den Problemkreisen der Verständlichkeit von Gesundheitsfragen und der Erheblichkeit verschwiegener Umstände ein. Im Rahmen der Zurechnung schade auf der einen Seite die Kenntnis des Versicherungsvertreters dem Versicherer, auf der anderen Seite müsse sich der Versicherungsnehmer Falschangaben des Versicherungsmaklers zurechnen lassen.

Begriff der Arbeits- und Berufsunfähigkeit
Rüfner thematisierte neben der verspäteten Anzeige der Berufsunfähigkeit (OLG Koblenz, Beschl. v. 24.2.2016 – 10 U 910/15, NJW-RR 2017, 26) insbesondere die im Rahmen der Verweisung an die „Gleichwertigkeit der Lebensstellung“ zu richtenden Anforderungen. Er betonte, dass der hier üblichen schematischen Betrachtung nur eine Tendenz entnommen werden könne, aber stets im Einzelfall geprüft werden müsse, ob tatsächlich eine spürbare Verschlechterung der Lebensstellung vorliege (Urt. 10 U 649/16). So könne dies im Niedriglohnbereich schon bei einer verhältnismäßig geringen Gehaltsabweichung der Fall sein. Rüfner berichtete von einem Fall, wo zu der Gehaltsabweichung der Verlust der Aussicht auf Gehaltserhöhungen hinzurechnet wurde. Daher wurde die übliche Einschätzung, die auf der prozentual zwischen dem Ausgangsgehalt und dem Gehalt in einem neuen Beruf ermittelten Divergenz beruht, korrigiert.

Gebäudeversicherung
Im Rahmen der Gebäudeversicherung ist nach Ansicht des OLG Koblenz ein Sturmschaden bereits dann gegeben, wenn der Sturm für den eingetretenen Schaden nur mitursächlich war (OLG Koblenz, Beschl. v. 15.9.2014 – 10 U 164/14, r+s 2015, 447).
Einen Ausschluss von Schwamm- und Schimmelschäden in der Leitungswasserversicherung hatte das OLG Koblenz für grundsätzlich wirksam erachtet. Der BGH ging hingegen von der Wirksamkeit nur dann aus, wenn aufgrund eines Sachverständigengutachtens ausgeschlos-sen sei, dass es sich nicht um eine häufige, zwangsläufige und kennzeichnende Folge des Lei-tungswasseraustritts handle (BGH, Urt. v. 12.7.2017 – IV ZR 151/15, NJW 2017, 2831).

Ewige Widerspruchs- oder Rücktrittsrechte bei Renten- und Lebensversicherungsverträgen nach VVG a.F.?
Neben den Voraussetzungen einer ausreichenden Widerrufsbelehrung ging Rüfner der Frage nach, ob in Folge der zu Renten- und Lebensversicherungsverträgen ergangenen Rechtsprechung des EuGH und des BGH ein Vertragsschluss nach dem Policenmodell stets europarechtswidrig sei. Dem OLG Koblenz zufolge bestünden keine Bedenken gegen die Zulässigkeit des Policenmodells als solchem (OLG Koblenz, Hinweisbeschl. v. 4.5.2015 – 10 U 160/15). Mangels Entscheidungserheblichkeit wurde von einer Vorlage an den EuGH bisher abgesehen (Hinweisbeschl. v. 24.10.2017 – 10 U 668/17). Professor Rüfner wies darauf hin, dass es attraktiv sein könne, auf das ewige Widerrufsrecht bei Versicherungsverträgen der Jahre 1994-2007, die nach dem Policenmodell abgeschlossen worden seien, zurückzugreifen. § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F., dem zufolge bei fehlender Belehrung ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie das Widerrufsrecht erlöschen sollte, sei durch den EuGH schließlich als europarechtswidrig festgestellt worden.

Anwendung der Gliedertaxe bei Schädigung des Schultergelenks
Nach der im Jahr 2003 erfolgten Änderung der Gliedertaxe (statt „Arm im Schultergelenk“ nur noch „Arm“) hatte sich die Rechtsprechung mit der Frage zu beschäftigen, ob reine Verletzungen des Schultergelenks noch vom Versicherungsschutz der AUB umfasst sind. Im Ergebnis bestand der Unterschied zwischen der aus Sicht des BGH unzulässigen unmittelbaren Anwendung der Gliedertaxe und der zulässigen analogen Anwendung in der Behandlung von Vorschädigungen (OLG Koblenz, Urt. v. 10.5.2017 – 10 U 441/12, r+s 2019, 107).

Silikonimplantate: Ausdehnung des territorial begrenzten Haftpflichtschutzes kraft Europarechts?
Zum Ende seines Vortrages stellte Rüfner die unterschiedlichen Rechtsauffassungen des OLG Koblenz und des OLG Frankfurt zur Frage der Europarechtswidrigkeit eines territorial begrenzten Haftpflichtschutzes dar. Die dort behandelten Fälle von fehlerhaften Brustimplantaten haben große öffentliche Aufmerksamkeit gefunden. Der Umfang des Versicherungsschutzes der nach französischem Recht erforderlichen Versicherung der Herstellerfirma war deswegen ins Zentrum des Interesses gerückt, weil die Geschädigten damit nach Insolvenz der Herstellerfirma und nach dem Scheitern von Klagen gegen weitere mögliche Anspruchsgegner einen Direktanspruch gegen den Versicherer geltend machen konnten. Der Versicherungsschutz des beklagten Pflichthaftpflichtversicherers war, entsprechend den gesetzlichen Vorgaben, auf in Frankreich entstandene Schäden begrenzt. Das OLG Koblenz urteilte, dass eine etwaige Europarechtswidrigkeit der französischen Regelungen zur Pflichtversicherung nicht zu einem Eingriff in den Versicherungsvertrag - und damit zu einer Leistungspflicht gegenüber anderen EU-Bürgern - führen könne. Der Versicherer könne nicht für einen etwaigen Europarechtsverstoß des französischen Gesetzgebers haftbar gemacht werden (Beschl. v. 6.11.2018).
Das OLG Frankfurt hat hingegen dem EuGH insbesondere die Frage nach der unmittelbaren Drittwirkung des Art. 18 Abs. 1 AEUV (Diskriminie-rungsverbot, hier: mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit) vorgelegt und auch die Berufung des französischen Haftpflichtversicherers auf das Erreichen der Deckungsobergrenze in Frage gestellt (OLG Frankfurt, Beschl. v. 11.9.2018 – 8 U 27/17, NJW 2019, 525).
Der nächste versicherungsrechtliche Jour Fixe findet am 27. November 2019 im Institut für Versicherungsrecht der Universität zu Köln statt. Dann wird Dr. Dirk Christoph Schautes, Chefsyndikus der ERGO Group AG, zum Thema „Aktuelle Probleme des Versicherungsvertrags- und -aufsichtsrechts“ referieren. Weitere Informationen unter: www.versicherungsrecht.jura.uni-koeln.de.

von Charlotte Möller, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Universität zu Köln