Beide sind Schriftsteller. Beide haben Bestseller veröffentlicht. Beide haben internationales Renommee u.a. durch die Verfilmung und Übersetzungen ihrer Werke erlangt. Und, was diesen Abend in seiner Form begründete: beide sind Juristen!
Philippe Sands, Experte für Völkerrecht, stand als Anwalt vor internationalen Gerichten, wie dem in Den Haag, dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte oder dem Internationalen Seegerichtshof.
Bernhard Schlink war Professor für Öffentliches Recht, Sozialrecht und Rechtsphilosophie an verschiedenen Universitäten in Deutschland und den USA. Daneben hatte er fast 20 Jahre lang ein Richteramt am Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster inne.
Jura trifft Autor
Neben den beiden Autoren konnte die deutsch-französische Journalistin Géraldine Schwarz für den Abend gewonnen werden. In ihrem eigenen literarischen und filmischen Werk, u.a. „Les Amnèsiques/Die Gedächtnislosen“ wendet sich Schwarz der oft schmerzlichen – und vielfach vernachlässigten – Aufarbeitung der Vergangenheit zu und plädiert für ein Umdenken in der Erinnerungsarbeit. Als Moderatorin des Abends beeindruckt Géraldine Schwarz in dieser Rolle und präsentiert sich als herausfordernde Gesprächspartnerin. Schwarz führt mehr als zwei Stunden durch den Abend und bietet dem Publikum viel Raum für Fragen und eine offene Diskussion.
Zunächst geht es um das Spannungsverhältnis zwischen Gerichtsprozessen und Recht auf der einen Seite sowie Erinnerung und Wiedergutmachung auf der anderen. Inwieweit vermag ein Schuldspruch erfahrenes Leid und Traumata zu tilgen oder Schuld zu sühnen?
Den Weltbesteller „Der Vorleser“ widmete Bernhard Schlink der deutschen Vergangenheitsschuld: Die mangelhafte Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus, des Holocausts und den Täter:innen als „zweite Schuld“ der Menschen nach 1945 habe „seine ganze Generation beschäftigt“, so der Verfasser.
Menschen und Nationen teilen Geheimnisse, Dinge über die nicht gesprochen wird, so Sands. Ihn selbst reize dabei die Lücke, die entsteht, wenn Menschen oder Nationen die Verarbeitung der Realität vermeiden. Seine Recherche „Die Rattenlinie“ stehe symbolisch für diese Lücke und reflektiere im Kleinen eine Universalgeschichte.
„Who do we get to talk about justice?“ (Sands)
Später fokussiert sich das Gespräch auf die Grenzen und Potenziale von Literatur und juristischen Verfahren in der Aufarbeitung der Vergangenheit – etwa bei der Auseinandersetzung mit den Nachwirkungen von Verbrechen, von Diktatur oder Konflikten. Spannend war hier die Sicht zweier schreibender Juristen – wie bewerten sie ihre eigenen Einflussmöglichkeiten durch ihr schriftstellerisches Werk? Beide waren sich einig, dass Literatur einen großen Beitrag zur Vergangenheitsaufarbeitung leisten kann. Geschichten, Dokumentationen und die Beschreibung von Einzelschicksalen öffnen Türen, weil sie neutralen Raum für verschiedene Perspektiven bieten würden.
Und aus der Sicht der Rezipienten gesprochen: Gerichte legen Recht und Unrecht aus, geben Handlungshinweise für das zivile Miteinander. Bücher geben wohltuend Raum für das, was war, wäre, sein könnte – ohne bewerten zu müssen.
Das Recht unterstützt das Erinnern wie auch das Vergessen gleichermaßen, so Schlink. Traumatisch könne beides sein. Daher sei es wichtig, sich zu fragen: Was kann das Recht leisten? Wie wollen wir vergangenes Unrecht erinnern?
Im Prozess der Wiedergutmachung haben Gerichtsprozesse eine entscheidende Rolle, knüpft Sands an. Und da mehr Menschen Romane als Gerichtsurteile lesen würden, sei es wichtig, zu reflektieren, wie sich Literatur und Rechtsprechung verbinden lassen könnten: „Whats the relationship between a trial and a novel?“
Sands, in London als Sohn einer jüdischen Einwanderungsfamilie geboren, verfolgte für sein Werk „Rückkehr nach Lemberg“ (2016) die Spuren seiner Vorfahren und verband diese mit der Geschichte von zwei Juristen, die das moderne Völkerrecht entscheidend geprägt haben. Fiktion habe im Gegensatz zu nicht-fiktionalen Texten die Möglichkeit die Vergangenheit durch persönliche Anknüpfungspunkte für die Leser:innen nahbar zu machen und Türöffner für komplexe Rechtsprechung zu sein, so Sands. 2018 bis 2023 war er Vorsitzender des Englischen PEN und dies unterstreicht auch seine Haltung: Es sei wichtig über Gerechtigkeit zu schreiben! Prozesse seien dabei nur ein Aspekt. Jedoch gelte das Gebot der Wahrhaftigkeit, Autor:innen dürften sich nicht über historische Quellen hinwegsetzen, ergänzt Bernhard Schlink.
Géraldine Schwarz verknüpft geschickt die Biografien der Autoren, vor allem ihre juristischen Laufbahnen, mit ihrem Oeuvre. Auch wenn es kein Leseabend ist, so erhält das Publikum Einblicke in ihr aktuelles Prosaschaffen.
In seiner Recherche „Die Rattenlinie“ skizziert Philippe Sands die Flucht eines SS-Offiziers vor seiner Verurteilung. Ausgangsmaterial waren private Briefe und Tagebücher der Familie Wächter sowie Gespräche, die Sands mit dem Sohn Otto Wächters führte.
Ebenso befasst sich die Erzählung „Die Enkelin“ von Bernhard Schlink mit den Beweggründen und persönlichen Konsequenzen einer Flucht – wenn auch unter anderen Vorzeichen:
Birgit flieht der Liebe wegen nach Westdeutschland und opfert dafür ein Leben mit ihrer Tochter. Auch hier geht es um eine historische Recherche, reichen die erzählerischen Brücken bis in die Gegenwart und wieder ringen die Protagonist:innen mit unterschiedlichen Weltsichten.
Nach dem Gespräch auf dem blauen Sofa im vollbesetzten historischen Lesesaal, gibt es zahlreiche Wortmeldungen aus dem – zum Teil internationalen – Publikum.
Das Gespräch fand in englischer und deutscher Sprache statt. Geplant und durchgeführt wurde die Veranstaltung als Kooperation der Stiftung Forum Recht und der Akademie für europäischen Menschenrechtsschutz der Universität zu Köln. Bilder zur Veranstaltung finden Sie unter https://academy-humanrights.uni-koeln.de/aktuelles/vergangene-veranstaltungen/justice-literature-and-rememberance-gespraech-mit-philippe-sands-und-bernhard-schlink.
Bericht: Pressestelle Stiftung Forum Recht