Vor etwa einem Jahr haben wir den Entschluss gefasst, mit dem regulären Studienalltag zu pausieren, um unseren juristischen Horizont mit praktischen Erfahrungen zu erweitern. Sechs Monate und sechs Tage widmeten wir uns intensiver Arbeit im Bereich des UN-Kaufrechts und der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. Durch mehrere Coachings, Seminare und Probeverhandlungen konnten wir praktische juristische Fähigkeiten entwickeln, sodass wir unseren fiktiven Mandanten sowohl schriftlich als auch mündlich vertreten konnten. Dadurch ergab sich die Möglichkeit sich fachlich und persönlich weiterzuentwickeln und Kontakte zu Professoren, Anwälten, Schiedsrichtern und Studenten aus aller Welt zu knüpfen.
Bereits vor Sachverhaltsausgabe im Oktober gingen die Vorbereitungen für uns los. Im Rahmen der 14th Cologne Academy on International Commercial Arbitration des Center for Transnational Law (CENTRAL) vermittelten uns hochkarätige Vertreter des Internationalen Wirtschaftsrechts einen ersten Einblick in den Inhalt und das Ziel der kommenden sechs Monate und sechs Tage. Besonders Boris Kasolowskys Vortrag zu einer Grundarbeitsweise der Schiedsgerichtsbarkeit, nämlich die „notion of fairness“, erwies sich im Laufe der Zeit als besonders hilfreich. Vor allem bei den prozessualen Problemen des Falls auf der Klägerseite war die „notion of fairness“ der Eckpfeiler unserer Argumentation. Zur Freude von Professor Klaus Peter Berger nutzte Miriam diese erste Möglichkeit, vor Publikum an einer simulierten Verhandlung in englischer Sprache teilzunehmen und überzeugte bereits in diesem Stadium. So bekamen wir einen Vorgeschmack auf die mündliche Phase, die uns ab Ende Januar 2017 erwartete.
Am 7. Oktober 2016 wurde der Sachverhalt veröffentlicht. Er drehte sich um Rotorblätter für Flugzeugmotoren. Technisch benötigte dieser Sachverhalt etwas Einarbeitung. Der Fall hatte vier Probleme. Zwei prozessuale, zwei materiellrechtliche. Prozessual stellte sich die Frage nach der Zulässigkeit der Schiedsklage und einer Kostensicherheit für das Verfahren. Materiellrechtlich stritten die Parteien um die Höhe der Kaufpreiszahlung. Zum einen stand die Anwendung der korrekten Wechselrate in Frage. Zum anderen sollte geklärt werden, wer für die Transferkosten aufkommen sollte, die aufgrund einer Geldwäsche-Regelung entstanden sind. Besonders auf Klägerseite erforderte das Problem der Wechselrate von Lisa und Anna, die die Präsentation der materiellrechtlichen Aspekte übernahmen, dass ein komplexer Wirtschaftsprozess verständlich und überzeugend dargestellt wurde. Sie behielten stets den Überblick, um auch bei fordernden Rückfragen die Position des Klägers überzeugend zu vertreten.
Ab Erhalt des Sachverhalts stand also viel Arbeit an. Wir mussten uns in ein neues Rechtsgebiet einarbeiten, viel recherchieren und uns mit dem Schreibstil eines englischsprachigen anwaltlichen Schriftsatzes vertraut machen. Von Woche zu Woche türmten sich mehr Bücherberge in unserem Moot-Office.
Am Wochenende vor der Abgabe des Klägerschriftsatzes kam es zum Endspurt der ersten Schriftsatzphase. Gemeinsam mit unserem Coach, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Ole Jensen, verliehen wir dem Schriftsatz den letzten Feinschliff und arbeiteten uns Satz für Satz durch die Argumentation. Pünktlich, fünftzehn Minuten vor Abgabe, stand unser Endprodukt von knapp 80 Seiten.
Nach einmal Ausschlafen ging es direkt weiter mit der Vorbereitung des Beklagtenschriftsatzes. Uns wurde der Klägerschriftsatz der indischen Panjab University zugeteilt, auf den wir als Beklagter antworten sollten. Zunächst waren wir alle noch sehr von der Klägerseite eingenommen und dachten, der Beklagte kämpfe auf verlorenem Boden. Aber diese Einstellung änderte sich schnell und wir versetzten uns ganz in die Position des Beklagten. Im Ergebnis, war der diesjährige Fall wirklich sehr ausgewogen. Sowohl Kläger als auch Beklagter hatten eine ähnlich starke Position.
Die Schreibphase für den Beklagtenschriftsatz war deutlich kürzer als die für den Klägerschriftsatz. Ende Januar reichten wir bereits unseren zweiten Schriftsatz ein.
Unmittelbar im Anschluss an den schriftlichen Teil des Wettbewerbs fiel der Startschuss für die mündliche Phase. Unser allererster Pre-Moot führte uns ins verschneite Amsterdam. Hier wurden unsere ersten Pleading-Versuche auf Herz und Nieren geprüft. Was anfangs eine Herausforderung war, entwickelte sich zu einer lehrreichen Erfahrung. Der Amsterdamer Pre-Moot war anfängerfreundlich gestaltet, ausgerichtet auf den Lernprozess anstelle des Wettkampfgedankens.
Neben zahlreichen Kanzlei-Pleadings im Rheinland haben wir uns auch auf weiteren Pre-Moots in Europa und Südamerika intensiv auf die mündliche Phase des Wettbewerbs vorbereitet.
Vor allem die Teilnahme an den Pre-Moots in Rio de Janeiro und São Paulo waren dabei sehr bereichernd. Letzterer war der offizielle Pre-Moot der diesjährigen Schiedsinstitution, der CAM-CCBC. Auf beiden brasilianischen Vorrunden konnten wir einen ganz anderen Vortragsstil und eine andere Herangehensweise an den Fall beobachten und schließlich erlernen. Besonders stolz waren wir in Rio de Janeiro in den General Rounds als Drittplatzierte hervorzugehen.
Zurück in Deutschland haben wir als Kölner Team natürlich auch am diesjährigen Düsseldorfer Pre-Moot teilgenommen. Dort hatten wir die Gelegenheit, rheinländische und europäische Teams besser kennenzulernen. Daran anschließend haben wir auch auf dem Pre-Moot in Den Haag, im Peace Palace, wertvolle Erfahrungen sammeln können. Besonders haben wir uns darüber gefreut, im dortigen Wettbewerb den dritten Platz erreicht und auch die Auszeichnung als „Best Oralist“ für Anna-Lena erhalten zu haben.
Direkt im Anschluss konnten wir mit diesem Ergebnis und mit neuem Selbstbewusstsein im Rücken zum eigentlichen Wettbewerb nach Wien reisen. In der Finalwoche waren wir vor allem gespannt darauf, das Team der indischen Panjab University kennenzulernen, auf dessen Klägerschriftsatz wir aus Beklagtensicht geantwortet hatten. Unsere anderen Mitstreiter in den General Rounds waren Teams aus Frankreich, Großbritannien und Kroatien. Schon am Tag der Anreise in Wien war eine weitere Probeverhandlung mit dem Team aus München angesetzt. So verbrachten wir den Abend im Kreuzverhör der Coaches.
Insgesamt war die Zeit in Wien sehr intensiv. Beeindruckend war bereits die Eröffnungsfeier im Wiener Konzerthaus, bei der die über 300 teilnehmenden Teams aus aller Welt anwesend waren. Professor Ingeborg Schwenzer, die später als Vorsitzende in unserem ersten Wiener Pleading agierte, überraschte uns an diesem Abend mit einer Gesangseinlage vom diesjährigen Vis Moot-Song. Am gleichen Abend trafen wir auch Professor Stefan Kröll, den Direktor des Willem C. Vis Moots in Wien. Neben der Prominenz trafen wir auch die Teams wieder, die wir auf den Pre-Moots in Europa und Südamerika kennengelernt haben. Zusammen mit einem brasilianischen Team haben wir ein traditionelles und obligatorisches Wiener Schnitzel gegessen.
In unseren finalen Pleadings in Wien setzten wir um, was wir über die letzten 6 Monate gelernt hatten. Schlussendlich wurden wir für unsere harte Arbeit auf der Abschlussveranstaltung in Wien, dem Awards Banquet, mit zwei „Honourable Mentions“ für unsere beiden Schriftsätze, dem „Pieter Sanders Award for the Best Memorandum for Claimant“ und dem „Werner Melis Award for the Best Memorandum for Respondent“, belohnt.
Abschließend lässt sich sagen, dass wir ein sehr lehrreiches und bereicherndes Moot-Semester hinter uns haben. Aus anfänglichen Argumenten wurden anwaltliche Schriftsätze, aus Präsentationen interaktive Pleadings und aus Fremden Freunde. Stolz können wir nun sagen, Teil der Vis Moot Familien zu sein.
Den großen Erfolg in Wien und die einzigartige Erfahrung der Teilnahme am Moot Court verdanken wir der intensiven Vorbereitung, die ohne die finanzielle und ideelle Unterstützung unserer Sponsoren nicht möglich gewesen wäre. Weiter gilt unser Dank Herrn Professor Klaus Peter Berger, der durch seine Euphorie für den Moot Court und durch seine Unterstützung in der Schriftsatzphase unserem Team zur Seite stand. Insbesondere seine Denkanstöße zur Kostensicherheit im Schiedsverfahren, ein prozessrechtliches Problem des Falls, waren entscheidend für unsere Argumentationsstruktur. Bedanken möchten wir uns auch bei unserem Coach Ole Jensen, der mit seiner Fachkenntnis und seiner Liebe für das Detail uns zu unserem Erfolg verhalf. Seine scheinbar unendliche Geduld rettete so manche Diskussion und löste jedes Problem. Weiter danken wir unserem Co-Coach Karolin Anna Güntsch, die aufgrund ihrer Teilnahme am letztjährigen Willem C. Vis East Moot Court, unsere Perspektive noch gut nachvollziehen und uns so hilfreiche praktische Tipps geben konnte. Außerdem gilt unser Dank dem CENTRAL für die umfängliche Unterstützung sowie die Möglichkeit der Teilnahme an der Summer Academy und am Rhetorik Workshop. Ein großes Dankeschön geht auch an alle Ex-Mooties für die Tipps bei den Schriftsätzen und Begleitung zu den Kanzleiterminen. Unser Dank gilt weiter den Mitarbeitern des Instituts für Bankrecht, die uns stets bei Fragen und technischen Problemen unterstützt haben. Ein besonderes Dankeschön geht an Dr. Bernd Scholl, dessen Denkanstöße uns bei der Lösung der wirtschaftlichen Probleme des Falls eine unerlässliche Hilfe waren.
Anna Rother & Miriam Staudt & Lisa Stender & Anna-Lena Ueberberg